Dienstag, 31. Juli 2012

Nordsyrien am 31. Juli 2012

Nordsyrien am 31. Juli 2012:
Ehemaliges Kommandozentrum FSA in Salahaddin
Nachrichten aus Aleppo kommen weiterhin bruchstückhaft und in den meisten Fällen mit unbekanntem Wahrheistsgehalt. In der Stadt selbst sind dabei die derzeitigen Verhältnisse mehr oder weniger klar - der Westteil Aleppos, insbesondere die "Neustadt", sind verhältnismäßig ruhig; in Salahaddin ist der Widerstand der Rebellen gebrochen und es wird "nachgesäubert". Von den Rebellenbanden kontrolliert werden die Stadtviertel im Osten, von wo aus sie dann und wann versuchen, die Kontrolle über das Stadtzentrum wiederzuerlangen. Die erste Aktion der syrischen Armee am Samstag war es gewesen, das Stadtzentrum im Bereich der "Zitadelle" zu sichern, um die Rebellengruppierungen so voneinander abzuschneiden. Im Norden der Stadt gibt es stetige Ausbruchsversuche in Richtung der Türkei.


Stadtkarte von Aleppo mit unruhigen Stadtvierteln; Quelle: BBC
Alles in allem scheint der Versuch der Rebellen, die Stadt unter ihre Kontrolle zu bekommen, zum jetzigen Zeitpunkt gescheitert zu sein.


Eine von Rebellensympathisanten dann und wann erneuerte Karte von Aleppo mit darauf markierten Positionen und Blockaden der Regierungskräfte:



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Die Hauptgefahr geht derweil von einer nicht näher bezeichneten Gruppe von Kämpfern aus, die sich ausserhalb des Blockaderings im Norden befindet. Auf jeden Fall hat ANNA-News gestern folgende Nachricht gebracht:
Heute in den frühen Morgenstunden hat eine große Zahl von Rebellenkämpfern der FSA und ausländischen Söldnern - bis zu 10.000 Mann - von der Türkei aus die Grenze nach Syrien überquert, um ihre bislang ruhmlos sterbenden ungefähr 5.000 Einweg-Kameraden in Aleppo zu unterstützen. (...) Ziel der Rebelleneinheiten ist es, mit allen Mitteln Zeit zu gewinnen und eine Pufferzone zwischen Idleb und Aleppo zu schaffen, womit nach dem Modell des libyschen Bengazi Zerfallserscheinungen auch in Syrien eingeleitet würden.


Wie groß diese Gruppe tatsächlich ist, und wie groß die Wahrscheinlichkeit dafür ist, dass sich unter diesen Kämpfern auch Einheiten der türkischen Streitkräfte befinden, kann man derzeit nicht beurteilen. Dass auch die Türken in Aleppo kämpfen, wird einmal mehr dokumentiert:

"Turkish passport found with militia member in Aleppo, July 31, 2012." @nasermaya

In den Videoaufnahmen, die aus Aleppo zu uns dringen, sieht man Rebellen mit Panzerfahrzeugen, die offenbar von Regierungstruppen erobert wurden.

Zwei weitere Details rufen Besorgnis hervor, das wäre zum Einen ein nahe Aleppo gelegener Militärflughafen und Stellungen der syrischen Luftabwehr. Inwieweit diese gegen Angriffe gesichert sind, taucht in den Nachrichten nicht auf. Zum Anderen befindet sich etwas südöstlich von Aleppo in Al-Safirah ein Chemiewerk, in welchem nach manchen Quellen auch chemische Waffen gelagert werden. Die Unruhe, die der Westen hinsichtlich der Anwendung chemischer Waffen an den Tag gelegt hat, gibt gerade zu denken: es steht zu befürchten, dass die FSA und sonstigen Rebellen den Versuch unternehmen, solche Waffen entweder gegen die syrische Armee, oder gar gegen Zivilisten einzusetzen.

Vor dem Hintergrund der geschilderten militärischen Lage kommen inzwischen Nachrichten, dass die Rebellen direkt nach Errichtung der Kontrolle über Aleppo die Aufstellung einer Übergangsregierung verkünden wollten. Unter Berücksichtigung der Fraktionen der „Opposition“ war geplant, gleich zwei parallele Strukturen zu etablieren – die Übergangsregierung als solche sowie den Höchsten Militärrat (den es pro forma bereits gibt, er wird vom übergelaufenen Brigadegeneral al-Scheikh angeführt – in der Praxis hat dieses Organ aber bisher keinerlei Bedeutung, da die wesentliche Schlagkraft der Opposition die FSA ist). Diese „Übergangsregierung“ sollte im Wesentlichen aus den Emigranten des SNC bestehen, der Militärrat sollte vor allem die Überläufer aus den syrischen Streitkräften in sich vereinen. Inwieweit diese Neubildungen handlungsfähig gewesen wären, kann man nur spekulieren, aber Ziel ihrer Schaffung war es natürlich, der Welt von ihrer Existenz zu künden und damit eine innersyrische Grundlage zur Anrufung ausländischer Militärhilfe zu haben. Aus Ankara oder Doha, wo der SNC sich jetzt wahlweise befindet, geht das natürlich schlecht. Die Weltgemeinschaft hätte sicher dieser einzig legitimen Vertretung des syrischen Volkes auf rein bilateraler Ebene – also ohne irgendeine UNO – sogleich die ersehnte „Hilfe“ zukommen lassen. Benghazi lässt grüßen.

Eben dafür brauchten die Rebellenbanden Kontrolle über ein gewisses Territorium innerhalb Syriens, Aleppo und der danach zu unternehmende Marsch auf Idleb sollte zur ersten Etappe bei der Realisierung dieses Plans werden. Der „Vulkan in Damaskus“ hat es letztlich vorgesehen, die Armee in Scharmützel in der Hauptstadt zu verwickeln, und unter dem Lärm des Terrors in Damaskus wäre der Norden des Landes außer Kontrolle geraten – die Bildung der Gegenregierung in Aleppo hätte den Weg weiter ins Landesinnere geebnet, dann schon mit der bombastischen Hilfe der diversen „Freunde Syriens“.

Aber der schnelle Misserfolg der Banditen in Damaskus – es war also wirklich reines Kanonenfutter, das mit uralten und recht schlechten Waffen ausgestattet war – hat diesen Plan bisher zunichte werden lassen. Nichts desto trotz beherrscht die FSA einen durchaus bedeutenden Teil von Aleppo und wird sich mühen, die einmal gefassten Pläne doch noch erfolgreich zu verwirklichen. Dazu muss der Armee lediglich eine empfindliche Niederlage zugefügt werden, doch haben Guerillas, insbesondere solche, die in einer Stadt blockiert sind, dazu kaum die Möglichkeit.

Das einzige, was die Lage der Rebellen also jetzt noch entscheidend bessern könnte, wäre die Unterstützung zum Beispiel durch türkische Armeeeinheiten, die als Rebellen die Grenze überqueren und eine Art Vorschlaghammer unter den Banden der FSA bilden könnten. Sie müssten Aleppo aus der Umklammerung durch die Armee befreien und parallel versuchen, die um die Stadt herum konzentrierte Armee empfindlich zu schlagen.

Man kann nur auf die weitere Entwicklung warten.

Derweil ein paar aktuelle Bilder aus Aleppo, von der FSA weitgehend befreiter Stadtteil Salahaddin (31.07.2012, @nasermaya):











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